La Grande Traversée des Pyrenées, 15. – 31. August 2014
Nach 2010 und 2012 zieht es mich zum dritten Mal auf einen Wanderritt in den Süden Frankreichs. Während zwölf Tagen werden wir etwa einen Drittel der Pyrenäen von Ost nach West über- und durchqueren. Da die Anreise doch relativ weit ist, lasse ich mir Zeit und übernachte auf dem Hinweg in Nîmes, auf dem Rückweg in Toulouse. Als absolutes Novum beglückt mich die SNCF für einmal weder mit Verspätungen noch mit einem Streik 🙂 Alles klappt wie am Schnürchen, und in Foix, meiner ÖV-Endstation, werde ich von Sophie abgeholt. Zusammen verbringen wir einen wunderschönen, sonnigen Tag in Montségur und haben ausgiebig Zeit, die geschichtsträchtige, alte Katharerburg zu besuchen. Zudem haben wir das Glück, einer Führung des wohl besten aller Katharerburgen-Guides beiwohnen zu können. Er besitzt die seltene Gabe, Geschichte so lebendig und spannend zu erzählen, dass man sich mit Leichtigkeit 800 Jahre zurückversetzen kann.
Am Sonntagabend trudeln dann nach und nach die restlichen Teilnehmer ein. Wir sind zu elft, plus unsere Guides Michel und Marie. Eine recht grosse Gruppe, die sich aber als sehr harmonisch erweist. Beim gemeinsamen Nachtessen teilt Michel die Pferde zu. Da bis auf zwei Teilnehmer alle schon einmal dabei waren, bekommen fast alle „ihr“ Pferd. Sophie und ich allerdings, wir müssten uns die kleine Pépite teilen. Da ich aber schon lange den Wunsch hegte, ein Mérens zu reiten, löst sich dieses Problem elegant, und alle beide sind glücklich. Die kleine, starke, pechschwarze Unarde wird in den nächsten zwei Wochen mein treuer, verlässlicher Kumpel sein. In Frankreich erhalten alle im selben Jahr geborenen Pferde einen Namen, welcher mit dem gleichen Buchstaben beginnt. Die Reihe geht schön nach dem Alphabet, das praktischerweise auf 20 Buchstaben komprimiert wurde. Somit kommt alle 20 Jahre, am Anfang einer Dekade, der Buchstabe „A“ an die Reihe, und man kann jeweils ausrechnen, wie alt ein Pferd ist. Ja, und weil bei „V“ Endstation ist, ist Unarde sechsjährig.
Am nächsten Morgen lacht die Sonne vom Himmel, das letzte Mal für eine geraume Weile. Wie immer gibt es ein Briefing von Michel, wie die Pferde gesattelt und bepackt werden müssen. Da liegen keine Nachlässigkeiten drin, da es sonst Druck- oder Scheuerstellen gibt.
Die ersten vier Tage reiten wir durch die hügelige, bewaldete, dünn besiedelte Ariège, das Ursprungsgebiet der Mérens-Pferde. Die Route führt von Montségur via Freychenet, das Vallée d’Ariège, Saurat, über den Col de Port, Massat, Oust und Seix zum Port d’Aulá. Auch hier war und ist der Sommer 2014 sehr nass. Entsprechend sehen wir herzlich wenig von der Landschaft, da wir oft von mehr oder weniger dichtem Nebel eingehüllt sind, und es nieselt bzw. regnet häufig. Die Wege sind meist tief und morastig, was sich auch im Aussehen der Pferdehufe und unserer Schuhe niederschlägt. Wir lassen uns aber die gute Laune nicht verderben. Unsere Unterkünfte sind vielfältig, mal zelten wir, mal sind wir in einer Gîte untergebracht, aber auch den Luxus und die hausgemachten Spezialitäten der Chambres et Table d’Hôtes in Saurat wissen wohl alle zu schätzen. Die Verpflegung ist ausnahmslos gut; nur schon darum lohnt es sich, reiten zu können 🙂 Auch die Picknicks unterwegs sind abwechslungsreich, neben Brot, Käse, Saucisses und Früchten gibt es jeden Tag einen anderen Salat. Dies haben wir Tiffaine, unserer guten Seele, zu verdanken. Sie macht die Itineraire und transportiert mit dem Van jeweils unser Gepäck sowie das Kraftfutter für die Pferde an unser Tagesziel. Je weiter und tiefer wir in die Berge kommen, desto längere Strecken muss sie fahren, während wir oft die Direttissima nehmen können. In diesen ersten, noch relativ gemütlichen Tagen, stellt sich nach und nach die so geliebte Rando-Routine ein. Im Morgengrauen aufstehen, Zelt und Schlafsack zusammenpacken, den Pferden in der Musette, dem guten alten Habersack, ihre Kraftfutterration verabreichen, Z’Morgen essen, Pferde putzen, satteln und bepacken, losreiten.
Auf den schmalen Wegen reiten wir single file, sonst darf’s auch mal nebeneinander sein. Es wird nicht viel geredet, man kann die Gedanken schweifen lassen, Landschaft und Einssein mit dem Vierbeiner geniessen und immer tiefer in diesen schon fast meditativen Rhythmus eintauchen. Wenn es das Terrain zulässt, wird auch getrabt – immer „en suspension“, um den Pferderücken zu schonen – und galoppiert, steile Abwärtspassagen werden zu Fuss zurückgelegt und bei langen Aufstiegen werden den Pferden immer wieder kurze Verschnaufpausen gegönnt. Auch wenn’s ganz steil oder gefährlich wird, gehen wir zu Fuss. Am fünften Tag sagen wir den Vorbergen „au revoir“ und nähern uns dem ersten, richtigen Pass. Der Col de Port, zwischen Saurat und Massat, mit seinen 1247m und der kargen, von Adlerfarn und Ginster dominierten Landschaft, war zwar auch einer, aber er liegt immer noch in den Foothills. Der Port d’Aulá, 1999m, markiert zugleich die Grenze zwischen Frankreich und Spanien. Der Aufstieg vom Pass führt von Seix durch das landschaftlich überaus reizvolle und üppig bewaldete Val d’Estours dem rauschenden, türkisfarbenen Bergbach entlang zum Étang d’Aréou. Auf den Alpen werden neben Schafen und Kühen auch Pferde gesömmert, Mérens und Comtois.
Fast schon magisch, wie sie, angekündigt durch ihre Glocken, aus dem dichten Nebel auftauchen und plötzlich vor uns stehen. Hier oben sind sie nicht nur den ganzen Sommer lang auf sich alleine gestellt, sondern holen sich auch ihre Zähigkeit und Trittsicherheit. Nicht, dass sie den Izards, den rehbraunen Pyrenäengemsen, von denen wir eine grosse Herde sehen, Konkurrenz machen würden, aber verstecken müssen sie sich auch nicht vor ihnen. Survival of the fittest! Nur schon der Aufstieg durch den steilen Wald vermittelt einen ersten Eindruck von den Pässen, die noch vor uns liegen. Und auch bezüglich Höhenmeter leisten die Pferde einiges. Heute Abend geniessen alle den Komfort eines wärmenden Feuers und trockener Schlafstätten in der neu aufgebauten Selbstversorgerhütte am malerischen Étang d’Aréou. Aber auch den Pferden geht’s gut. Wie immer hat Tiffaine auch hier eine riesige Weide abgesteckt, mit direktem Zugang zum Bergsee. Am nächsten Morgen steigen wir wieder in unsere Regenmonturen. Ein entgegenkommender Älpler verkündet, in Spanien scheine die Sonne – was wir ihm natürlich nicht wirklich glauben können… Aber es ist tatsächlich wahr. Exakt auf der Grenze, nach fünf Tagen, reisst der Nebel auf, Schluss mit Nieselregen, und die SONNE scheint!
Die grandiose Berglandschaft, die sich vor uns auftut, entlockt allen begeisterte Ahs und Ohs. Hoch über uns kreisen majestätisch zwei Bartgeier, in den Pyrenäen kein seltener Anblick. Nachdem wir diese Momente tief in uns aufgesogen und natürlich auch unsere Kameras hervorgeholt haben, um dieses Ereignis festzuhalten, nehmen wir den zweistündigen Abstieg unter die Füsse. Erstmals gibt’s heute eine Siesta. Man muss die Feste schliesslich feiern, wie sie fallen. Es ist warm, überall Blumen, Schmetterlinge, Heuschrecken, es riecht wunderbar nach Harz im Pinienwald, wir sind im Süden angekommen. Wir sind nun im sich zum Mittelmeer hin öffnenden, südlichen Teil des Val d’Aran, das Tal des Arriu Noguera Palharesa, wo neben Catalán auch Occitan gesprochen wird. Auf einer Piste reiten wir talaufwärts bis zum Refugio Montgarri, einer ehemaligen Ermitage, welche von einem Verein engagierter Freiwilliger liebevoll restauriert wurde. Es ist Wochenende, und entsprechend viele Ausflügler sind unterwegs. Selbst die Einwohner des sonst so sonnenverwöhnten Spanien geniessen diesen prächtigen Tag in grosser Zahl.
Unsere Route führt am nächsten Tag weiter auf der Piste, durch lichten Pinienwald, begleitet vom leisen Zwitschern der Kreuzschnäbel, sanft ansteigend, das grösste Skigebiet der spanischen Pyrenäen, Baqueira-Beret, links passierend, zur Quelle der Garonne. Ja, die entspringt tatsächlich, als absolut unscheinbares Rinnsal, in Spanien! Somit sind wir gleichzeitig auf der Wasserscheide Mittelmeer-Atlantik angelangt und nun im sich nach Nordwesten öffnenden Teil des Val d’Arán. Anfangs noch der Passstrasse entlang, dann auf schöner, alter Mulattiera gelangen wir in’s Tal. Die Dörfer hier sind unglaublich proper, man wähnt sich schon fast in einem katalanischen Ballenberg. Meine französischen ReisekollegInnen meinen, mit einem vielsagenden Seitenblick, dies sei nun wohl „la Suisse d’Espagne“. Die aus Natursteinen gebauten Häuser sind ausnahmslos mit akkurat zugeschnittenen Schieferplatten gedeckt, egal, ob es sich nun um eine dreihundertjährige Kirche oder einen Neubau aus dem Jahr 2012 handelt. Alles ist pieksauber und gepflegt und macht einen überaus wohlhabenden Eindruck. Die Krise hat diese Region Spaniens, die vor allem vom Tourismus lebt, ganz offensichtlich nicht erreicht. Hier wird einem auch klar, warum die Katalanen gerne unabhängig werden wollen.
In allen diesen Dörfern, wie auch schon in der Ariège, wird unsere Gruppe bestaunt. Die Menschen kommen aus den Häusern, fotografieren, die Kinder wollen die Pferde streicheln. Wenn die Leute dann erfahren, dass wir fast zwei Wochen unterwegs sind, staunen sie meist noch ein bisschen mehr.
Als Dessert wartet bei der heutigen Mittagsrast eine heisse Schwefelwasserquelle auf uns. Sie liegt etwas oberhalb am Hang, eingefasst von einem Mäuerchen aus Granitsteinen. Ein Hot Spring in Katalonien – damit habe ich nun wirklich nicht gerechnet! An diesem Abend schlafen wir, in Escunhau, das einzige Mal in einem Hotel. Zwar nicht besonders schön, direkt an der vielbefahrenen Strasse gelegen, aber eine sehr freundliche Unterkunft, wo niemand ob unserer nicht besonders wohlriechenden Reitkleidung die Nase rümpft.
Auch am nächsten Tag müssen wir noch ein Stück weit durch’s Val d’Aran. Müssen darum, weil es erstens recht warm ist und die Pferde von Fliegen und Bremen geplagt werden und auch darum, weil es recht dicht besiedelt ist. Als wir dann bei Es Bordes ins Val d’Arriu Joeu abbiegen und die Berge wieder in Sicht kommen, freuen sich alle. Letztes Jahr, als fast ganz Europa unter einem extrem nassen Frühling litt, hat auch hier die Natur wieder einmal demonstriert, wie unbändig und stark sie ist. Der kaum fünf Meter breite, unscheinbare Arriu Joeu verursachte mit seinem Hochwasser gewaltige Überschwemmungen, riss Bäume, Häuser, Brücken und Strasse mit und lagerte gigantische Mengen von Kies nahe seiner Mündung in die Garonne ab. Jetzt rauscht er türkisfarbenen und klar und lädt nach dem Picknick zum Bade. Auf dem vielbefahrenen, schmalen Strässchen, es ist immer noch Ferienzeit, reiten wir bis zum kleinen Ausflugsrestaurant Montjoiá. Nicht nur die Pferde erhalten eine absolut idyllische Weide direkt am Fluss, auch wir werden hier vorzüglich verpflegt. Die Tapas bestehen in dieser Gegend traditionellerweise aus hausgemachter Charcuterie und leicht angeröstetem Weissbrot, welches mit einer Knoblauchzehe und mit einer halben Tomate eingerieben und dann mit Olivenöl beträufelt wird. Auch der nachfolgende Asado, welcher zusammen mit Salat gereicht wird, braucht sich nicht zu verstecken. Und dann noch eine Tarta de Queso zum Dessert, was will frau mehr 🙂 Die Romantikerinnen unter uns haben die Zelte unten am Fluss bei den Pferden aufgestellt, was zwar eine kleine Stirnlampennachtwanderung nach sich zieht, aber den Aufwand absolut wert ist. Nicht nur der Sternenhimmel ist, fern jeder Lichtverschmutzung, überwältigend schön, auch das beruhigende Schnobern und Mampfen der Pferde ist so wunderbar heimelig.
Da uns eine lange Etappe bevorsteht, heisst es am nächsten Morgen die taunassen Zelte in der Dämmerung abbrechen, Pferde von der Weide heraufholen, Vier- und Zweibeiner verpflegen, satteln und losreiten. Das erste Stück führt durch einen sehr steilen Wald ebenso steil aufwärts, 800 Höhenmeter. Stetig arbeiten sich die braven Pferde bergauf, sie schwitzen, zeigen aber keine Ermüdungserscheinungen. Ab und zu gönnt Michel ihnen eine Verschnaufpause. Langsam wir der Wald lichter, wir erreichen ein weites, gletschergeformtes Hochtal, wo nicht nur grosse, süsse Heidelbeeren in Hülle und Fülle wachsen, sondern auch blaue Iriswiesen das Auge erfreuen. Ein weiterer Anstieg folgt, hinauf zur spanisch-französischen Grenze.
Da Spanien aber weitaus besseres Wetter anbietet, bleiben wir auf dieser Seite. Über eine abschüssige Krete und einen spektakulären, wunderbar in den Fels eingefügten Treppenweg – wahrlich eine „art des pierres“ – gelangen wir zum 2468 m hohen Port d’era Picada. Die Rundumsicht ist erneut phantastisch, der Gletscher des 3308 m hohen Pico de la Maladeta leuchtet in der Sonne, steile Abgründe, Schneefelder, Bergseelein, wunderbare Bergwiesen, „le cœur des Pyrenées“! Nachdem der steilste Teil des Abstiegs bewältigt ist, gibt es die wohlverdiente Mittagsrast. Obwohl der Grasbewuchs hier eher karg ist, können die Pferde ihre Energiereserven etwas auffüllen. Schliesslich stehen ihnen doch noch ein paar Stunden bevor. Im Westen ziehen schwarze Gewitterwolken auf, der weite, unbesiedelte Talboden leuchtet mal im hellen Sonnenlicht, um kurz danach wieder fast bedrohlich und düster zu wirken. Ruhig mäandriert das Flüsschen durch den lockeren Pinienwald, Eisenhut, Fettblatt und Iris blühen. Unterhalb der Baños de Benasque wartet bereits Tiffaine auf uns. Eben erst ist sie angekommen, da sie einen weiten Umweg fahren musste. Pferdeweide abstecken, Pferde versorgen, irgendwo auf dem weitläufigen Zeltplatz die Zelte aufstellen, Z’Nacht essen und schon nachtet es ein. Hier unten gibt es wieder genügend Gras, und unsere vierbeinigen Begleiter können sich den Bauch vollschlagen.
Nach der gestrigen langen Etappe ist die heutige ehr kurz und unspektakulär. Die ersten Morgenstundenden entlang des wilden Río Ésera sind, wie so oft, magisch. Es ist ruhig, der Tag noch jung, nur Hufgetrappel, Pferdeschnauben und ab und zu ein Specht oder Dompfaff sind zu hören. Ab Benasque müssen wir uns um eine vielbefahrene Strasse herumschlängeln, es ist richtig heiss, und wir sind froh, ein paar Stunden später wieder auf den alten, von Steinmauern und Alleen gesäumten Pflasterwegen reiten zu können. Im Halbschatten ist es nicht nur angenehm kühl, auch die Insektenplage lässt markant nach. Entlang des Stausees Embalse de Linsoles beglücken uns sogar noch ein paar schöne Trab- und Galoppstrecken, bevor wir im kleinen, malerisch am Hang gelegenen Sahún eintreffen. Wir sind nun in Aragón, die Dörfer sind nicht mehr ganz so herausgeputzt, der Reichtum in die Ferne gerückt. Persönlich ist mir hier wesentlich wohler, ich fühle mich an die Bergdörfer im Tessin erinnert. Auch unsere Unterkunft casaruralfalisi ist überaus sympathisch, geführt von gastfreundlichen, hilfsbereiten Leuten, welche auf der Pferdeweide extra einen Brunnen installiert haben und neben der kleinen Pension noch eine Käserei betreiben. Klar, dass sich hier alle eindecken; auch unsere Picknicks werden in den kommenden, letzten Tagen mit dem feinen Pyrenäenkäse bereichert.
Auch am nächsten Tag lacht wieder die Sonne vom Himmel, und erneut liegt eine lange Etappe vor uns. Nach einem reichhaltigen Z’Morgen führt uns eine, vor allem im unteren Teil perfekt erhaltene und gepflegte Mulattiera hinauf zum 1999 m ü.M. gelegenen Puerto de Sahún.
Zwar führt auch ein Strässchen auf den Pass, aber wie immer bei Michel wird auch hier dem alten Saum- und Handelsweg, der während des Spanischen Bürgerkriegs eine lebenswichtige Verbindung nach Frankreich war, der Vorzug gegeben. Dies ist zwar manchmal nicht ganz so einfach, da auch hier die alten Wege – es gibt ja jetzt Strassen und man muss nicht mehr auf Schuster’s Rappen unterwegs sein – wegen Nichtgebrauchs zuwachsen und verfallen. Das ist nicht nur für Wanderer schade, sondern bedeutet auch einen grossen kulturellen Verlust. Der Abstieg vom Pass ist nicht besonders steil, aber sehr geröllig und daher für die Pferde nicht sehr angenehm zu gehen. Aber schon bald erreichen wir die ersten bunten Heuwiesen, wo die Heuschrecken zirpen und auch jetzt noch, Ende Sommer, erstaunlich viele Blumen wie Karthäusernelken oder zahlreiche Enzianarten blühen. Gewitterwolken fangen sich an aufzutürmen, und die Sonne sticht. Da ist man froh, wenn Haselsträucher oder Pinien Schatten spenden. Weit unten fliesst der Bergbach durch das wilde, fast unbesiedelte Val de Chistau. Ebendiesen Bach, der sich häufig durch eine enge Schlucht seinen Weg suchen muss, gilt es zu überqueren. Schlussendlich tut sich eine Furt mit grossen, runden Felsblöcken auf. Nicht ganz einfach für die Pferde, aber erneut staunen wir, wie präzise sie ihre Hufe setzen. Langsam wird es Abend, und die letzten Sonnenstrahlen, welche sich durch die bleifarbenen Gewitterwolken zwängen, tauchen den aussergewöhnlich bunt gefalteten, mächtigen, 3375 m hohen Pic Posets in ein phantastisches Licht. Er ist der zweithöchste Berg der Pyrenäen. Im Refugio in Viadós, einer Streusiedlung, auf deren Terrassen früher Getreide angebaut wurde, beziehen wir unser Nachtquartier. Heutzutage liegt Viadós im Parque Natural Posets-Maladeta, die gut erhaltenen Terrassen werden noch als Mähwiesen genutzt, und die aus Natursteinen erbauten, schiefergedeckten Wirtschaftsgebäude dienen zum Teil als Ferienhäuser bzw. Sommerresidenzen. Ein wunderschöner, malerischer Ort in den Bergen, wo auch die Pferde gut versorgt sind. Nur die Verpflegung für die Zweibeiner lässt doch sehr zu wünschen übrig, und man zehrt hier lieber von den körpereigenen Reserven. Die Sternennacht mit dem folgenden Wetterleuchten und Gewitter ist unvergesslich.
Der letzte Tag bricht an. Schweigend versorgen wir unsere treuen Pferde, schweigend reiten wir los. Es nieselt leicht, passend zur Wehmut, die fast greifbar ist. Die Stimmung beginnt sich erst zu heben, als die Sonne durch die Wolken hervorbricht und die Bergwelt sich nochmals von ihrer allerschönsten Seite zeigt. Einsamkeit, ein paar kreisende Bartgeier, weit und breit kein Dorf, keine Strasse, nicht einmal eine Alp, es gibt sie noch, diese Weite, diese Ungestörtheit, eine Wohltat für die Seele. In weiten Bögen, über grasbewachsene Rundungen und Hänge, arbeiten sich die Pferde hinauf zum 2524 m hohen Puerto de Plan, der zugleich auch die Landesgrenze markiert. Der schwarze, teils fast zu Erde erodierte Schiefer gleisst silbern im Sonnenlicht. Und unter uns breitet sich, erneut exakt zum Landeswechsel, ein ausgedehntes, malerisches Nebelmeer aus. Aber bevor wir wieder in die Suppe eintreten, steht uns noch ein Abstieg bevor, der nicht nur für einige Zweibeiner eine kleine Herausforderung darstellt, sondern auch die Pferde so richtig ihr Können und ihre herausragenden Qualitäten unter Beweis stellen lässt. Bis anhin war ich sicher, dass das, was wir letztes Jahr in Kirgistan erlebt habe, nicht mehr zu übertreffen ist. Aber diese Pferde, und allen voran Tosca, das von allen heiss geliebte Muli, sind absolute Spitzenklasse. Auch an den steilsten Hängen, auf stotzigem Weg mit hohen Bärentritten oder im losen, rutschigen Schiefergeröll bleiben sie völlig gelassen, setzen präzise und überlegt einen Huf vor den anderen. Chapeau! Unten im Talgrund ein letzter Blick zurück, von weitem sieht immer alles so zahm und harmlos aus. Mit dem Nebel und dem Nieselregen, welche uns auf den letzten zwölf Kilometern Piste und Strasse bis Tramezaïgues begleiten, kehrt auch die Wehmut zurück. Was vor zwei Wochen noch endlos erschien, ist nun endgültig und definitiv vorbei. Ein letztes Mal satteln wir die Pferde ab und bringen sie auf die Weide. Im Nieselregen stellen wir die Zelte auf. Auch beim Nachtessen im Speisesaal, welchen wir mit Erlaubnis der freundlichen Besitzer des Ferienlagerhauses, neben dem wir zelten, benutzen dürfen, macht sich die sonstige Fröhlichkeit nur ansatzweise bemerkbar. Wirklich Abschied nehmen müssen wir erst am nächsten Morgen, als die Pferde in den Camion verladen werden, der sie zurück nach Cucugnan bzw. Montségur bringt. Alle sind traurig, Tränen werden nicht versteckt, Abschied nehmen ist so schwer. Trost gibt einzig der Gedanke, dass man bestimmt wiederkommen wird. Aber und vor allem, dass es ein absolut grossartiges, unvergessliches Erlebnis war. On reviendra!
Facts:
Pferde: Neben 4 Mérens und 3 Mulis sind die anderen Pferde eine bunte Mischung. Die meisten haben einen grossen Anteil Vollblut, sind mittel- bis grossrahmig und haben ausnahmslos einen sehr guten Charakter. Allesamt sind sie nicht nur überaus trittsicher sondern auch, da sich die Herde kennt, untereinander sehr verträglich. Unter dem Sattel gibt es niemals Rangeleien, und sie können alle beliebig nebeneinander angebunden werden. Während der Wintermonate, von Ende Oktober bis Ende März, lebt die ganze Herde auf Gemeindeland auf dem Mont Tauch und in den Hügeln beim Château de Quéribus in den Corbières. Sie werden in dieser Zeit weder geritten noch, normalerweise, zusätzlich gefüttert. Nur Wasser muss ihnen zur Verfügung gestellt werden. Hier holen sie sich einen grossen Teil ihrer Trittsicherheit, ihrer harten, gesunden Hufe und ihrer Zähigkeit.
Es wird am langen Zügel geritten, meist mit Hackamore. Zum Einsatz kommen mehrheitlich französische Wanderreitsättel, in die man sich etwas einsitzen muss. Aus diesem Grund habe ich immer mein Schaffell im Gepäck! Packtaschen werden zur Verfügung gestellt, und an allen Sätteln sind genügend Lederriemen zum Anbinden von Regenkleidern angebracht. Zaumzeuge, Pads und Sättel sind in gutem Zustand und sehr gut gepflegt.
Und, last but not least, von Michel und Marie könnte so mancher Guide noch sehr viel lernen!
Links:
Michel Layral, der kompetente und umsichtige Guide aus den französischen Corbières, der zusammen mit seiner Frau Marie geführte Wanderritte vom Mittelmeer über die Corbières mit ihren imposanten Katharerburgen bis hinauf in die Pyrenäen anbietet. Cheval Cathare
Georg Freivogel bietet Reisen in Zentralasien an. Dank seiner jahrzehntelangen Erfahrung und seines schon fast lexikalischen Wissens erhältst du tiefe Einblicke in Kultur und Lebensweise der Bevölkerung und lernst atemberaubend schöne Regionen kennen. Für Wanderreiter besonders interessant, da auch längere Touren möglich sind.Tianshantours
Comments
Liebe Monika
Mit Begeisterung und lebendigem Nachempfinden habe ich deinen Bericht gelesen. Ein grossartiges Erlebnis ist zum wertvollen Gut bleibender Erinnerung geworden. Ich freue mich mit dir über diese unvergesslichen Tage.
Danke – auch für die wunderschönen Bilder!
Aus dem Paradies der Erinnerungen kann uns niemand vertreiben.
Dein Papi
Liebe Monika vielen Dank für den wundervollen Bericht über Deinen Wanderritt. Beim Lesen bin ich einfach mitgeritten. Am Sonntag als ich Dich sah wusste ich noch nichts davon, da ich nicht jeden Tag am PC bin. Herzlichen Dank, dass Du an mich gedacht hast mit lieben Grüssen Brigitte